Historie

Johann Gottfried Seume marschierte vor ca. 200 Jahren am 06. Dezember 1801 von Grimma in Sachsen los und kam am 1. April 1802 in Syrakus an. Nach Grimma kehrte er Ende August 1802 zurück. Und dabei hat er sich nicht einmal beeilt. In den großen Städten hielt er sich meistens mehrere Tage auf.
Seine Reiseroute führte ihn von Grimma über Dresden, Prag, Wien, Graz, Maribor, Ljubljana, Triest, Venedig, Bologna, Ancona, Terni, Rom, Neapel, Palermo, Syrakus, Messina, Palermo, Neapel, Rom, Siena, Florenz, Bologna, Mailand, Gotthard-Pass, Luzern, Zürich, Basel, Besancon, Dijon, Paris, Nancy, Straßburg, Worms, Mainz, Frankfurt, Fulda, Erfurt, Weimar, Leipzig zurück nach Grimma.
Seume war jedoch nicht nur ein Spaziergänger. Ihn interessierten weniger Museen und Ruinenstädte, sondern er kommentierte lieber scharfzüngig die politischen Ereignisse der damaligen Zeit.
Auch wenn man Seumes Fußmarsch mit heute kaum noch vergleichen kann, gibt es doch eine Gemeinsamkeit mit den Trekkern und Fernwanderern von heute: Die Abscheu vor dem Fahren mit dem Auto.
Spartanisch zu heute dagegen fiel sein Gepäck aus: Ein blauer Frack, zwei Westen, zwei Hosen und zwei Unterhosen, zwei Paar Strümpfe, vier Halstücher, zwei Taschentücher, ein Paar Straßenschuhe, ein Paar Pantoffeln, ein Paar Stiefel. Außerdem trug er Flickzeug, eine Bürste und zwei Notizbücher bei sich. Und seine Bibliothek, die umfangreicher war als alles andere: Jeweils ein Band von Homer, Theokrit, Anakreon, Platus, Horaz, Virgil, Tacitus, Sueton, Terenz, Tibull, Catull und Properz. Da wundert sich der Fernwanderer von heute.
Johann Gottfried Seume wählte für seinen Spaziergang zumeist die Hauptverbindungsstraßen zwischen den großen Städten. Dieses war in der damaligen Zeit wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, zu Fuß über Land zu gehen. Wanderwege waren unbekannt. Was vor 200 Jahren eine Notwendigkeit war, ist heute eine Tortur. Heute würde niemand mehr auf die Idee kommen für so einen Fußmarsch die Hauptverkehrsstraßen zu nehmen. Es wäre ein Zumutung, sogar eine Gefährdung an Leib und Leben, täglich viele Stunden entlang der viel befahrenen Hauptstraßen zu marschieren.
Johann Gottfried Seume erfuhr im Gehen Würde und Freiheit
„Unter den nicht wenigen Verächtern der Fortbewegung zu Fuß gibt es noch immer einige Gebildete, die ihren Johann Gottfried Seume wenigstens dem Namen und dem Programm nach kennen, diesen „deutschen Wanderer". Lange vor Ernst Bloch hat er den aufrechten Gang als die einzige Haltung besungen, die dem freien Menschen gezieme, die ihn frei mache und in Freiheit erhalte. Noch sechzehn Jahre nach Seumes Tod hat der alte Goethe dessen Bücher studiert, nicht aus literarischer Neigung, sondern aus Neugier für diesen seltsamen Kauz. War das nun der Wanderer gewesen, den die Dichter und Komponisten zum Sinnbild des wahren Menschen genommen, dem Goethe selbst das „Nachtlied" zugeschrieben hatte? Oder war es nur ein Phänomen des physiologischen Bewegungstriebes, aus dem dann freilich — denn Wandern lüftet den Geist und gibt Gedanken — eine leidlich originelle Wanderliteratur hervorging?
Die Frage beschäftigt uns heute nicht mehr, denn ein Wanderer ist zu unseren Zeiten ein Mensch, der sein Auto am Waldrand abgestellt hat und wegen eines verklemmten Schlosses das Klapprad nicht aus dem Kofferraum holen konnte.
Was bleibt, sind einige Sätze, die markant und absurd klingen, also vielleicht weise und daher behaltenswert sind.“
„Wer geht, sieht im Durchschnitt anthropologisch und kosmisch mehr, als wer fährt. Ich halte den Gang für das Ehrenvollste und Selbständigste und bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge. Man kann fast überall bloß deswegen nicht recht auf die Beine kommen und auf den Beinen bleiben, weil man zuviel fährt. Wo alles zuviel fährt, geht alles sehr schlecht. So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich um einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt. Man kann niemand mehr fest und rein ins Angesicht sehen, wie man soll. Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft "

„Uns geht es aber um die Fußwanderung als Reisemethode — denn so komisch uns das heute vorkommen mag: Seume ist unter anderem auch gelaufen, um an ein Ziel zu kommen. Dass er es dort dann niemals lange aushielt, ist eine andere Frage. Sicher ist, dass dieser Spaziergänger nicht nur ums Viereck gegangen ist, sondern in neun Monaten von Leipzig nach Wien, dann nach Syrakus, dann nach Paris und zurück nach Leipzig. Herman Kasack, der spätere Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, hat im Vorwort einer Neuausgabe des „Spazierganges" 1941 geschrieben, Seume habe in seiner Jugend wohl der Gorgo ins Antlitz geschaut, deren Blick versteinert „Wer ihn übersteht, bleibt verschlossener im Leben und härter, er befindet sich stets auf der Flucht vor dem Ungreifbaren Diese Unrast habe Seume von einem Ziel zum anderen gezwungen auf dem unendlichen Weg zu sich selbst.“

Seume lebte zu Zeiten, da man nach Italien für Bildung halber reiste, und als literarisch Beflissener und habilitierter Studierter war er größter Gefahr ausgesetzt, seine Wanderung nach Syrakus als einen einzigen Lehrgang anzusehen. 
(Am 23.02.1792 hatte Seume die feierliche Promotion zum Magister Artium und am 28.03.1792 wurde er mit der Schrift „ARMA VETERVM / CVM NOSTRIS / BREVITER COMPARATA. / AMPLISSIMI ORDINIS PHILOSOPHORVM / LIPSIENSIS / AVCTORITATE / D. XXVIII. MART. MDCCXCII / H.L.Q.C. / DEFENDET / IOH. GOTTFR. SEVME / A.M. / CVM SOCIO AMICO /CARL SALOMO ZACHARIAE / LIPSIAE / LITTERIS SOMMRIIS.“ (Die Bewaffnung in der Antike und in der heutigen Zeit. Ein kurzer Vergleich) habilitiert.)  
Er hat die Gefahr gesehen und sich rechtzeitig mit einem milden Zynismus den Monumenten der Vergangenheit gegenüber gewappnet.  Seume spiegelt in diesem Reisebericht, eine Mischform von Tagebuch- und Briefsammlung an den Leser, ein Reisegefühl in subjektiven Reaktionen sehr lebendig wider, ohne Reisegefühl direkt zu beschreiben. Als Wanderer war er durchaus frei von den Widrigkeiten, mit denen sich der heutige Bildungsreisende in Italien herumschlagen muss.
Als unsystematischer, wenngleich vernünftiger Reisender hat Seume aus dem Fußgehen keine ausschließende Weltanschauung gemacht. Er hatte keine dogmatischen Bedenken gegen das Fahren im Wagen von Zeit zu Zeit. Es war einfach seine Natur, die ihn trieb, das Erlebnis des Sehens zu steigern durch das Gehen auf den eigenen Beinen.


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